Artillerie und MGCS: Frankreichs Besuch bei Rheinmetall nach 35 Jahren

Gestern besuchten die Verteidigungsminister Deutschlands und Frankreichs das Werk von Rheinmetall, auch um sich über die Fähigkeiten zur Produktion im Bereich der Artillerie sowie die Neuerungen bei den Kampfpanzern, besonders zum Projekt Main Ground Combat System (MGCS), zu informieren. Es war ein besonderes Ereignis, da seit über 35 Jahren kein französischer Verteidigungsminister mehr beim deutschen Rüstungskonzern gewesen war.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, der CEO von Rheinmetall, Armin Papperger, und der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu beim Besuch des Rheinmetall-Werks in Unterlüß.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, der CEO von Rheinmetall, Armin Papperger, und der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu beim Besuch des Rheinmetall-Werks in Unterlüß.
Foto: Bundeswehr/Rolf Klatt

„Ich bin der erste Verteidigungsminister seit 35 Jahren, der Rheinmetall besucht hat“, betonte der französische Verteidigungsminister. „Ich denke, das hat auch für Aufmerksamkeit gesorgt.“ Ein besonderer Fokus seines Besuches beim deutschen Rüstungskonzern lag in der Information zum deutsch-französischen Kampfpanzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS), hier haben KNDS Frankreich (ehemals Nexter), KNDS Deutschland (ehemals KMW), Rheinmetall und Thales Anteile an der MGCS Project Company (wir berichteten).

„Das Landkampfsystem der Zukunft soll 2040 an den Start gehen“, sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius nach dem Besuch. „Und Rheinmetall ist wie andere Unternehmen aus Deutschland und Frankreich von herausragender Bedeutung für unser gemeinsames Panzerprojekt der Zukunft, das Main Ground Combat System, das Landkampfsystem der Zukunft.“

Im Gegensatz zu FCAS scheint sich MGCS auf einem guten Weg zu befinden, was aber eher der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass die Meilensteine weiter in der Zukunft liegen. Der Fortgang von MGCS ließe sich nicht mit den Problemen bei FCAS vergleichen, „weil die Zeitschiene eine andere ist“, sagte auch der französische Verteidigungsminister. „Wir haben das zusammen ausgehandelt und unterzeichnet. Wir haben die Arbeitsaufträge verteilt. Das wir so organisiert, dass es funktionieren kann.“

Trennung in der KNDS-Familie

Für MGCS war das deutsche Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) seinerzeit mit Nexter zu KNDS verheiratet worden, doch es gab von Anfang an Probleme. Die Nicht-Zusammenführbarkeit der beiden Rüstungskonzerne KMW und Nexter zeigte sich bereits in der Namensgebung, es blieb bei KNDS Deutschland und KNDS France, jeder mit eigenem Geschäftsführer, eigenen Zielen, eigenem Aufbau, eigenen Interessen bezogen auf Rohstoffe und Zulieferer. Und ohne den für Synergien notwendigen tatsächlichen Austausch, der aus Gründen der nationalen Sicherheit auch gar nicht möglich war.

Zudem berichtete die Börsen-Zeitung vor wenigen Tagen, dass „sich die Eigentümerfamilien Bode und Braunbehrens schrittweise aus dem Unternehmen zurückziehen und ihre Aktien verkaufen“ wollen. „Deshalb bereitet sich die Bundesregierung auf die Notwendigkeit eines Einstiegs mit einer Sperrminorität vor, wie mit der Sache vertraute Personen berichten“, so die Börsen-Zeitung. „Dem aktuell erwogenen Planspiel zufolge würden der französische Staat und Wegmann bei dem avisierten Börsengang von KNDS, der noch in diesem Jahr stattfinden könnte, jeweils 12,5 Prozent der bestehenden Aktien an neue Investoren abgeben. Darüber hinaus könnte die Bundesregierung von Wegmann eine Sperrminorität von 25,1 Prozent erwerben.“

Eine Aussage, die Boris Pistorius gestern zumindest nicht dementierte. „Wir denken darüber nach“, sagte der deutsche Verteidigungsminister, „aber wir haben noch keine Entscheidung getroffen.“

Sollte der deutsche Staat nicht mit einer Sperrminorität einsteigen, könnten sich auch Unternehmen wie Rheinmetall für den Erwerb der Aktienmehrheit anbieten. Schließlich würde das Portfolio des deutschen Panzerspezialisten KMW ausgezeichnet in das Geschäftsfeld Defence von Rheinmetall passen.

Deutsch-französisch für die Verteidigung

„Wenn wir über hochintensive Kriege sprechen, dann müssen beide Industrien zusammenarbeiten und sich gegenseitig zu Hilfe kommen“, betonte Lecornu bezogen auf die Verteidigungsindustrie in Europa. „Ich habe das erste Mal den Chef von Rheinmetall getroffen und er hat mir versichert, wie sehr sich Rheinmetall auf über 2.000 französischen Unternehmen als Zulieferer verlässt.“

Deutschland und Frankreich, die Länder der EU, all dies sei über die Jahre zusammengewachsen. Es gebe industrielle Verbindungen und Verpflichtungen, „die wichtig sind“, so der französische Verteidigungsminister. „Manchmal ist es nicht so einfach, wie es aussieht. Denn im Grunde gibt es viele wirtschaftliche Akteure, die nicht auf die Politik warten sondern die eigene Beziehungen geknüpft haben – und das ist vielversprechend für die Zukunft.“

Frankreich und Deutschland sind zudem Partner in der sogenannten „Artillerie-Koalition“ für die Ukraine. Auch hier bietet Rheinmetall mehrere Lösungen an und hat sich vor allem seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu einem der größten Produzenten von Artilleriemunition weltweit entwickelt.

„Wir konnten uns in einem Gespräch mit Herrn Papperger und bei einem Rundgang wieder einmal davon überzeugen, dass wir mit innovativen Unternehmen etwas Einmaliges und zukunftsfähiges auf die Beine stellen können“, freute sich der deutsche Verteidigungsminister. „Wir entwickeln und beschaffen aber nicht nur für das Jetzt, für die nahe Zukunft, also nicht nur kurz und mittelfristige Hightech-Waffensysteme. Wir arbeiten – und das ist die Herausforderung – eben auch an den Innovationen der Zukunft.“

European Long Range Strike Approach

Ein wichtiger Ansatz für die Fähigkeit zu Deep Precision Strikes ist das europäische Programm European Long Range Strike Approach, kurz ELSA. „Bei ELSA geht es um Waffen, die über große Distanzen hinweg punktgenau wirken können. Frankreich war daran maßgeblich beteiligt, den Rahmen dafür zu schaffen“, erläuterte Pistorius.

Die Partner von ELSA würden gemeinsam die verschiedenen skalierbaren Waffensysteme entwickeln und dann auch gemeinsam beschaffen „und ich möchte, dass Deutschland eine führende Rolle bei der Umsetzung übernimmt“, so der deutsche Verteidigungsminister. Zum Sachstand von ELSA sagte Pistorius: „Wir definieren im Moment, welche Fähigkeiten von wem gebraucht werden und um welche Reichweiten es geht, zum Beispiel 2.000 Kilometer. Daran arbeiten ganz konkret gerade Deutschland und Großbritannien und wir laden andere Partner ein, daran mitzuarbeiten.“

Rheinmetall für Innovationen

Beim Besuch der Rheinmetall-Niederlassung in Unterlüß konnte sich der französische Verteidigungsminister gestern schließlich direkt über die Innovationskraft des deutschen Unternehmens informieren. Im Nachgang zeigte er sich sichtlich beeindruckt, betonte allerdings auch, dass es für militärische Beschaffungen viele Punkte zu bedenken gebe.

„Es geht hier um hoheitliche Aufgaben und hoheitliche Entscheidungen, die den Staaten zukommen“, sagte Lecornu und führte bezogen auf die gemeinsamen Projekte und besonders MGCS weiter aus: „Es hat viele Diskussionen gegeben mit den verschiedenen Unternehmen und deswegen wollte ich heute auch Rheinmetall besuchen, denn ich finde, dass es wichtig ist, dass man direkte Beziehungen hat. Man kann nicht solche komplexen strategischen Projekte durchführen, wenn es keine Verbindung gibt zwischen dem französischen Verteidigungsministerium und Rheinmetall.“

Vieles von dem in Unterlüß Erfahrenen wird Lecornu nun mit nach Hause nehmen und auch für seine Streitkräfte erwägen. Allerdings bleibt tatsächlich abzuwarten, wie es sich mit dem Fortgang von MGCS verhält, besonders nach den Hinweisen darauf, dass die Bundeswehr in naher Zukunft 1.000 Kampfpanzer Leopard von KNDS Deutschland beschaffen will. Rheinmetall ist wiederum ausgelastet mit den Aufträgen für Kampfpanzer aus Ungarn und Italien. Hinzu kommt der Bedarf der Ukraine.

Industriepolitisch könnten zumindest die deutschen Unternehmen also auf eine Fokussierung auf MGCS verzichten und stattdessen den Kunden ihre vorhandenen, weiterentwickelten Kampfpanzer anbieten. MGCS besitzt aktuell keine entscheidende Bedeutung mehr, dafür sind die Auftragsbücher zu gut gefüllt und die vorhandenen Plattformen bieten zu viel eigenes Entwicklungspotential.

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