Auf der Rü.Net in Koblenz fand General Markus Laubenthal klare Worte: Europa dürfe sich nicht in Sicherheit wiegen. Russland rüste weit über den Bedarf des Ukraine-Krieges hinaus auf, neue Achsen mit China, Nordkorea und dem Iran würden zur globalen Bedrohung. Zugleich verändern Drohnen und künstliche Intelligenz das Gefechtsfeld grundlegend – eine Revolution, die Laubenthal mit dem Einsatz des Maschinengewehrs im Ersten Weltkrieg vergleicht. Seine Botschaft an Politik und Industrie ist eindeutig: Tempo machen, Fähigkeiten stärken, Risiken eingehen, sonst droht der Westen den Anschluss zu verlieren.
„Es ist wirklich überfällig, dass wir uns in Deutschland damit auseinandersetzen, was es bedeutet, in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben“, begann General Markus Laubenthal, Chief of Staff Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) seine Rede auf der diesjährigen Rü.Net in Koblenz.
Dass es dabei nicht nur um starke Streitkräfte oder ein gesellschaftliches Bewusstsein gehe, sondern auch um ein anderes Selbstverständnis der Rüstungsindustrie, machte der General in seiner Ausführung deutlich.
Wo stehen wir?
Doch zunächst ging es General Laubenthal in seinem halbstündigen Vortrag um eine Bestandsaufnahme. Für den europäischen Teil der NATO steht ganz klar der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Fokus. Die Entwicklungen dort spielen aus mehreren Gründen eine wichtige Rolle – nicht zuletzt auch, da Ukraine gegenwärtig das restliche Europa vor Russland verteidigt.
„Ja, wir sehen Geländegewinne“, stellte General Laubenthal mit Blick auf den Angreifer fest, „aber erlauben Sie mir den Perspektivwechsel: Vergleichen Sie die Geländegewinne von März 2022 mit heute, dann werden Sie sehen: Die Ukraine hat Russland zurückgedrängt.“
Das sollte allerdings nicht beruhigen, denn Russland rüstet mittlerweile über den Bedarf in der Ukraine hinaus auf. „Die Geschwindigkeit und der Umfang der ungebremsten russischen Aufrüstung besorgen sich natürlich zu tief. Putin baut ein großes Waffenarsenal auf“, so Laubenthal.
Etwa 30 neue Panzer und 250 Truppentransportpanzer seien es pro Monat, die neu hergestellt oder runderneuert würden. Neben dem Ersatz von in der Ukraine verschlissenem Gerät gehe das neue Material auch in neue Strukturen für künftige Konflikte.
Konflikte, die nicht zwangsweise an der NATO-Ostflanke entbrennen müssen. „In diesem Moment testet Russland seine Raketensysteme im hohen Norden, zieht mit seinen U-Booten durch den Atlantik, zeigt Präsenz an den Mittelmeerküsten Nordafrikas und des Nahen Ostens“, illustrierte der ehemalige Stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr.
Das Bündnis müsse sich 360 Grad schützen, so Laubenthal, „ungeachtet wie ein möglicher Waffenstillstand oder gar Friedensschluss – wenn er denn hoffentlich kommt – aussehen wird.“
Neue Achsen werden zur Bedrohung
Laubenthal rief seinem Publikum in der Rhein-Mosel-Halle die Bilder des Morgens in Erinnerung. In China hatte Präsident Xi Jinping bei einer Militärparade anlässlich des Sieges über Japan ordentlich auffahren lassen. Spannend auch die autokratische Gästeliste.
„Wir sehen heute schon“, so Laubenthal in Koblenz, „Russland ist nicht allein. Es hat China, Nordkorea und den Iran an seiner Seite. Wir sehen strategische Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft, wir sehen vertiefte Partnerschaftsprogramme in Verteidigung, Rüstung und Geheimdienste und wir sehen einen massiven Technologietransfer.“
Gerade letzterer war zuletzt als großes Problem diskutiert worden- Russlands Schwierigkeiten in der Ukraine ermöglichten es Nord Korea, ein Stückweit aus der weltpolitischen Isolation zu entkommen.
Ukraine: „Labor für Methoden, Technologien und Doktrinen“
Die Ukraine sei ein „Labor für Methoden, Technologien und Doktrinen, die auch gegen uns zur Anwendung kommen können“ meint General Laubenthal. So wie die NATO aus dem Beispiel Ukraine lernen könne, könne dies allerdings auch der potenzielle Gegner.
Hier zeigt das Beispiel Ukraine, dass die Art und Anzahl von eingesetzten Systemen enorm zugenommen hat. Das gilt für die Wirkung, mehr aber noch für die Aufklärung.
Satelliten, Drohnen, Sensoren und künstliche Intelligenz sorgen für eine ständige Aufklärung und sorgen dafür, dass das Gefechtsfeld immer gläserner wird. Unerkannte Bewegungen größerer Truppenkörper seien da kaum mehr möglich.
Ganz generell nehme die Bedeutung unbemannter Systeme weiter zu – insbesondere auch im Kosten-Nutzen-Verhältnis. „Wenn ein einfacher Drohnenschwarm eine Patriot-Batterie auslöst“, so General Laubenthal, „dann hat der Angreifer ökonomisch bereits gewonnen – selbst wenn er militärisch scheitert.“
Es gehe im Bereich der Drohnenabwehr also darum, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, sondern das geeignetste Mittel zu den geringsten Kosten zu verwenden. Ein aktuelles Beispiel aus der Ukraine: Eine sehr hohe Erfolgsquote gelingt momentan durch Kaliber .50 Browning Machine Guns, die auf Pick-Ups montiert werden.
Was als Technical in der asymmetrischen Kriegsführung bekannt ist, zeigt sich auch im ukrainischen Abwehrkrieg als hilfreich. Warum? Weil diese technisch simple Lösung durch Sensorketten ausgestattet sind, die mit KI präzise und vorausschauende die Anflugwege russischer Drohnen berechnen.
„Ich persönlich bin davon überzeugt“, betonte der General, „Drohnen sind eine echte Revolution im militärischen Gefecht. Wir stehen zwar erst am Anfang der militärischen Integration, aber man kann ihre Veränderungswirkung etwa mit dem Einsatz des Maschinengewehrs im Ersten Weltkrieg vergleichen.“
Dennoch lösen Drohnen herkömmliche Systeme auf dem Gefechtsfeld nicht ab. Sie seien viel mehr als Ergänzung zu betrachten – wenngleich als bedeutende.
Darauf muss die NATO vorbereitet sein
Nach einem Überblick der aktuellen Entwicklungen stellte General Laubenthal dann die Frage, wie sich das Bündnis selbst auf einen Angriff Russlands – das allein durch seine Geografie und seine Fähigkeit zur Rekonstituierung seiner Streitkräfte über enorme Vorteile verfüge – vorbereiten könnte.
„Wir dürfen für Russland keinen Vorteil zulassen“, lautete seine schlichte Antwort, „nicht in den Kräften, nicht in der Geografie und nicht den Technologien.“ In den letzten Jahren habe die NATO umfassende Verteidigungspläne erarbeitet. Diese würden konkret definieren, welche Fähigkeiten und Kräfte benötigt würden, um im Ernstfall das Bündnisgebiet zu verteidigen.
General Laubenthal erwähnte allerdings auch, dass der Blick der NATO bereits weiter ginge. Denn auch wenn sich die NATO von Hause aus auf den Bereich zwischen der Westküste der USA bis zur Ostflanke in Europa erstreckt, beobachte man auch China und den Pazifik ganz genau.
Dementsprechend mahnte der General auch die anwesenden Industrievertreter auf die Resilienz ihrer Lieferketten aus dem Pazifik zu achten. Sollte China eines Tages seine Drohung wahr machen und Taiwan angreifen, könnte es auch für die Produktion europäischer Rüstungsgüter schwierig werden.
10 Forderungen von General Laubenthal
Hier klang bereits an, worauf man sich in Europa einzustellen habe. Im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Verteidigung adressierte General Laubenthal nicht nur die anwesende Industrie oder die Streitkräfte, sondern auch Politik und Gesellschaft.
Laubenthal formulierte 10 Forderungen, die schnellstmöglich angegangen werden müssen.
- Schließen der Fähigkeitslücke Tempo.
- Orientierung am operativen Bedarf
- Orientierung an den Realitäten des Krieges
- Interoperabilität
- Rasche Integration neuer Technologien
- Entscheidender Faktor sind Test- und Anpassverfahren
- Erweiterung von Produktionskapazitäten
- Verlässlichkeit in Planung und Lieferung
- Vernetzung innerhalb der Industrie
- Erhöhte Risikobereitschaft
In diesem Zusammenhang führte der General ein weiteres Beispiel aus der Ukraine an. Dort habe man ein Punktesystem bei der Beschaffung von Drohnen eingeführt. Verträge macht das Land grundsätzlich nur noch für ein Jahr. Die dann beschafften Drohnen erhalten durch ihre Nutzer an der Front Punkte.
Das so entstehende Ranking erlaubt dann für die besten Systeme Nachbeschaffungen – und für die Verlierer einen Ansporn zur Verbesserung.
Gesamtverteidigung: Industrie ist gefragt
Auch dieses Beispiel macht deutlich, dass der Industrie heute mehr zukommt als die Rolle eines Zulieferers der Truppe. Sie müsse sich – auch mit einem gewissen Risiko verbunden – anstrengen und vorangehen. Schließlich stehe die Sicherheit der NATO nach Laubenthals Ansicht auf drei Säulen: „Der politischen Geschlossenheit, der militärischen Glaubwürdigkeit und der industriellen Leistungsfähigkeit“.
„Wenn eine dieser Säulen brüchig wird“, mahnt General Laubenthal, „dann gerät das ganze Haus ins Wanken. Sie, die Industrie, sind nicht nur Partner. Sie sind Mitverantwortliche unserer kollektiven Sicherheit und mit der Verantwortung wächst auch Ihre Bedeutung.“
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