Russland greift nach ukrainischen und internationalen Berichten zunehmend auf Soldaten zurück, die an HIV, Hepatitis oder anderen Infektionskrankheiten leiden. In Pokrowsk, einem der verlustreichsten Frontabschnitte, sollen ganze Krankenverbände in Angriffsoperationen eingesetzt worden sein. Damit reagiert Moskau auf den enormen Verschleiß seiner Kräfte – auf Kosten der eigenen Kampfkraft.
Im 1435th und 1437th Motorised Rifle Regiment, die der 27th bzw. der 15th Motorised Rifle Brigade unterstehen, sollen solche „Sick Units“ – Krankeneinheiten – gebildet worden sein. Das Ukrainian Security and Cooperation Centre (USCC), ein in Kyiv ansässiger sicherheitspolitischer Think Tank mit enger Anbindung an die Streitkräfte, berichtet, dass diese Einheiten bei Angriffen aus südlicher Richtung und bei Versuchen, über Zwirove in die Stadt einzudringen, aufgefallen seien.
Auch der britische Telegraph griff diese Informationen auf. Weitere Bestätigung kommt aus russischen Exilmedien. Novaya Gazeta Europe, Nachfolger der traditionsreichen, in Russland verbotenen Novaya Gazeta, berichtete von der Separierung HIV- und Hepatitis-positiver Soldaten und deren Kennzeichnung.
Das unabhängige Investigativmedium iStories, das seit seiner Einstufung als „feindliches Auslandsmedium“ aus dem Exil arbeitet, belegte zudem anhand offizieller Stellenausschreibungen, dass das Verteidigungsministerium gezielt HIV- und Hepatitis-Positive rekrutierte. Auch der englischsprachige Kyiv Independent dokumentierte die systematische Anwerbung und wies auf die steigenden Infektionsraten hin.
Einsatz in Pokrowsk
Pokrowsk ist ein logistischer Schlüsselpunkt im Donezker Raum. Über die Stadt verlaufen zentrale Nachschublinien, die Chasiv Yar und Kostiantynivka mitversorgen. Die Einnahme dieses Gebietes würde die gesamte ukrainische Verteidigung in diesem Abschnitt bedrohen. Aktuelle Lagebilder zeigen beidseitige Bewegungen: Ukrainische Vorstöße nördlich von Pokrowsk, bei Nowotorezke und westlich von Bojkiwka, sowie russische Angriffe westlich von Nowoekonomitschne.
Südlich von Welykomychajliwka wurde die russische Kontrolle in Beresowe durch gehisste russische Flaggen aufgeklärt, während kleinere ukrainische Geländegewinne bei Kindratiwka von ukrainischen Berichterstattern bestätigt wurden. Gerade in diesem Schwerpunkt kommen die „Sick Units“ zum Einsatz.
Nach ukrainischen Angaben wurden sie wiederholt bei Angriffen auf die südlichen Zugänge der Stadt gesichtet, ebenso bei Infiltrationsversuchen über Zwirove. Dass Moskau dort auf gesundheitlich eingeschränktes Personal zurückgreift, zeigt den Druck, Angriffe trotz massiver Verluste fortzuführen – mit absehbaren Folgen für die Belastbarkeit und Kampfkraft dieser Formationen.
Rekrutierung und Standards
Die Methode knüpft an Wagner-Praktiken an. Bereits 2022 rekrutierte die Gruppe Gefangene mit HIV und Hepatitis, kennzeichnete sie mit roten oder weißen Armbändchen und setzte sie in besonders verlustreichen Angriffsoperationen ein. Inzwischen greift auch das Verteidigungsministerium auf dieses Verfahren zurück und integriert es in reguläre Verbände.
Parallel wurden medizinische Standards abgesenkt. Krankheiten, die bislang zur Untauglichkeit führten, gelten nun als tragbar. Beobachter verweisen auf eine Direktive von Verteidigungsminister Andrei Belousov, mit der Hepatitis C von der Ausschlussliste gestrichen wurde.
Gesundheitslage in den Streitkräften
Neben gezielten Rekrutierungen verschärft sich die Lage innerhalb der Streitkräfte. HIV und Hepatitis sind weit verbreitet, Tuberkulose breitet sich ebenfalls aus, vereinzelt werden hämorrhagische Fieber gemeldet. Ursache sind nicht nur die hohen Belastungen, sondern vor allem strukturelle Defizite: improvisierte medizinische Versorgung, mangelhafte Hygiene und die Wiederverwendung von Spritzen bei Operationen. Unabhängige Analysen verorten den Anstieg der HIV-Fälle seit Kriegsbeginn beim Zwanzigfachen. Das zeigt, wie sehr die Sanitätsorganisation an ihre Grenzen stößt.
Folgen für die Kampfkraft
Die Auswirkungen auf die Kampfkraft sind gravierend. Gesundheitlich eingeschränkte Soldaten sind weniger belastbar, fallen häufiger aus und schwächen die Durchhaltefähigkeit ganzer Einheiten. Gleichzeitig bindet der erhöhte Bedarf an Medikamenten, Evakuierungen und Nachsorge logistische Kapazitäten.
Die Armbändchen stigmatisieren nicht nur und schwächen die Kohäsion, sie haben auch zur Folge, dass HIV- oder Hepatitis-infizierte Soldaten im Falle einer Verwundung häufig keine Versorgung erhalten, weil Kameraden eine Ansteckung über Blut fürchten. Verwundete noch vor abgeschlossener Genesung zurück an die Front zu schicken, widerspricht nicht nur humanitären Standards, sondern untergräbt auch das Vertrauen in die Führung. Die Zahl der eingesetzten Soldaten steigt zwar kurzfristig, die Substanz der Truppe nimmt jedoch weiter ab.
Fortbestehende Bedrohung für die NATO
Trotz dieser Schwächung seiner Armee bleibt Russland militärisch gefährlich. In der Nacht zum 20. September führten die Streitkräfte eine der größten kombinierten Drohnen- und Raketenangriffe der letzten Wochen durch. Parallel nahmen russische Kommandeure höhere Risiken in Kauf und setzten verstärkt auf Taktiken, die auch Angriffe auf zivile Infrastruktur umfassen.
Anfang September verletzten russische Drohnen zudem den Luftraum Polens. Polnische und niederländische Kampfjets, darunter niederländische F-35, schossen mehrere Systeme ab. Wenige Tage später drangen russische MiG-31 in estnischen Luftraum ein, woraufhin Tallinn Konsultationen nach Artikel 4 des NATO-Vertrages anforderte. Kurz darauf identifizierten deutsche Eurofighter und schwedische Gripen ein russisches Aufklärungsflugzeug über der Ostsee.
Diese Vorfälle zeigen, dass Moskau trotz Erosion der Landkräfte weiterhin die Fähigkeit besitzt, die NATO herauszufordern. Hinzu kommen die unverändert hohe Priorität der strategischen Nuklearstreitkräfte und eine Rüstungsindustrie, die trotz Sanktionen im Kriegsmodus produziert – nicht immer auf höchstem Niveau, aber in relevanten Stückzahlen.
Fazit
Die Bildung von „Sick Units“ in regulären Regimentern ist Ausdruck einer Armee im Verschleiß. Moskau füllt kurzfristig Lücken, schwächt aber auf physischer, logistischer und moralischer Ebene die eigene Kampfkraft und verstößt gegen humanitäre Grundsätze. Für die sicherheitspolitische Bewertung bleibt entscheidend: Russlands Kampfkraft am Boden sinkt, die Bedrohung für Europa bleibt.
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